Pusteblume aquarell

Die Kunst des Fragens

Am Anfang war das Wort… oder war es nicht vielleicht doch die Frage?!

Fragen verändern die Welt! Sie leiten uns in die Zukunft, ins Unbekannte, ins Nichtwissen… also über die eigene Gewissheit hinaus. Fragen sind das Kernstück aller menschenlichen Entwicklung. Doch wie kommen wir zu diesen ehrlichen, tiefen, weiterführenden Fragen?

So viel sei an dieser Stelle schon mal verraten: es ist eine wahre Kunst die richtigen Fragen zu finden und zu stellen – viel mehr als die Antworten zu geben. Das zeigt uns nicht nur die Parzival Geschichte, sondern auch immer wieder das Leben. Denn wenn die Frage da ist, dann ist auch die Antwort schon da. Auch wenn sie vielleicht erst Mal noch nicht direkt ersichtlich ist, aber sie ist da und wird sich im Zuhören zeigen. Rainer Maria Rilke beschreibt dies wunderbar in seinem Gedicht über die Geduld:

Über die Geduld

Man muss den Dingen
die eigene, stille

ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann,
alles ist austragen – und
dann gebären…

Reifen wie der Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.

Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit
vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit…

Man muss Geduld haben
Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein.

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)

Für solche Fragen braucht es eine offene und neugierige Haltung der Welt gegenüber, so wie es sonst nur die Kinder haben, die durch ihre Fragen sich die Welt erschließen und zusammenhänge erkennen.

Durch richtige, ehrliche und tiefe Fragen werden Innovationsprozesse angestoßen, kreative und neue Lösungen für alte Probleme gesucht und der Mensch lernt sich selbst und andere sowie die Welt mit neuen Augen zu sehen. All das ist der Grundbaustein für Entwicklung. Um wirklich Neues zu entdecken braucht es also eine ehrliche Frage und eine unvoreingenommene und hingegebene Haltung ans Leben. Falsche, oberflächliche und unehrliche Fragen langweilen uns schnell. Sei es in Gesprächen, Freundschaften oder in der Schule. Dann wird die Begegnung schnell zur Selbstdarstellung alles Gewussten und Bekannten, anstatt sich in der Tiefe und im Nichtwissen zu begegnen und sich darin nur von der Frage leiten zu lassen. Die Kunst ist es, in der Frage zu schwimmen, wie in einem großen See oder Meer, ihren Wellengang zu beobachten, die Ufer des bekannten abzusuchen und in die Tiefe zu tauchen. All das macht einen ehrlichen Forschungsprozess aus, sei es in der Wissenschaft, in unserem Arbeitsumfeld, in unseren Beziehungen oder bei unserem Blick in uns selbst hinein. Es gilt die Unwissenheit über die Antwort zu zulassen und dadurch wirklich Neues erst einzuladen.

Dafür braucht es Mut: Den Mut in einem unbekannten See baden zu gehen, sich in unbekannte Fluten zu stürzen und in der Unwissenheit zu schwimmen, mit der offenen Frage, was uns wohl am anderen Ufer erwartet?!

Fragen sind das wichtigste Leitmotiv für uns Menschen:

Wer bin ich?

Was ist meine Lebensaufgabe?

Was ist der mögliche und richtige nächste Schritt?

Was kann ich auch aus Missglückten lernen?


Und auch im Gespräch miteinander die ehrliche Frage:

Wie gehts Dir Mensch?

Wodran leidest Du? Was ist grad schwer für Dich?

Dies ist die bekannte Mitleidsfrage bei Parzival und bringt uns erst in die tiefe menschliche Begegnung, in der Heilung passiert (siehe auch in der Gestalttherapie).

Solche Fragen sind wie ein Tor zu Welt. Zu unserer eigenen Innenwelt und auch zur Außenwelt, zum Herzen des Gegenübers und zu allem Neuen.

Echt Fragen zu haben bedeutet mit und in ihnen zu leben, so wie auch Rilke es in seinem Gedicht über Fragen und Geduld schreibt, um dann allmählich in die Antwort hineinzuleben, vielleicht sogar ohne es zu merken. Denn echt Fragen haben zunächst erstmal keine offensichtliche Antwort. Das ist das Paradox: Jede Frage hat zwar eine Antwort, aber um sie zu finden, müssen wir zunächst voller Akzeptanz und Neugierde mit der Frage leben, Gespräche führen, mutig Neues wagen… etc. Und dann wird uns die Antwort finden, manchmal plötzlich und unerwartet, manchmal sanft und kaum merkbar. Aber die Antwort ist da, sie liegt schon in der Frage drin und muss doch errungen werden.

Wirklich Fragen heißt, sich mit der Ungewissheit anfreunden, durchlässig werden für Überraschungen, das Rätsel und das Geheimnis lieben lernen. Der Mensch ist ein unablässig suchendes Fragewesen im Gespräch mit sich selbst, den anderen und der Welt.
Das Ziel ist es, das Denken ins Offene zu katapultieren und sich dabei von der Festigkeit der Meinungen zu verabschieden, nur so lässt sich herausfinden was wirklich los ist und nicht nur in eigenen Vorstellungen zu Leben.

Auch zwischenmenschlich brauchen wir diese Haltung, denn nur dann kommt wahrhaftige Begegnung miteinander zustande. Nur dann können wir das Herz der anderen Person sehen und hören und einander tiefer erkennen. Die Frage, wie die Dinge sind, steht nicht nur am Anfang der Philosophie, sondern auch des sokratischen Gesprächs. Eine Dialogische Lebensform und Praxis, die wirklich in eine Beziehung geht mit den Anderen und der Welt, lebt von Fragen, deren Antwortsuche uns dann nach vorne gehen lässt im Leben.

In der Frage zeigt sich die wirkliche Freiheit. Kann ich frei fragen, denken, antworten und suchen? In unseren Demokratien wurden viele dieser Freiheitsrechte in der Verfassung/Grundgesetz festgeschrieben, wofür ich sehr dankbar bin und wobei ich stehts hoffe, dass wir diese Privilegien nicht allzu schnell vergessen zu wertschätzen oder unsere Demokratie zu pflegen. Deswegen habe ich auch in meinem Leben bereits viel in der politischen Bildungsarbeit gearbeitet, mit jungen Menschen aus ganz verschiedenen Hintergründen.

Am Ende kann sich jede und jeder aber auch selbst Fragen, nutze ich meine Freiheitsrechte? Frage ich mich und die Welt die wirklich wichtigen Fragen des Lebens? Oder haben ich Angst vor den Antworten oder der Suche, die damit verbunden ist und die mich zunächst ins Unbekannte bringt?

Die Parzival Geschichte ist ein wunderschönes Beipsiel dafür, wie aus einer nicht gestellten Frage (Mitleidsfrage), eine ganze innere und äußere Reise entsteht, die erst nach beschwerlichen Jahren und mit dem Finden des heiligen Grals endet.

Die Parzival Frage aus Perspektive von Rudolf Steiner:

„Das alte Hellsehen (ist) verschwunden. Eine neue Organisation der Menschenseele trat auf, eine Organisation der Menschenseele, die überhaupt abgeschlossen bleiben muß von der geistigen Welt, wenn sie nicht fragt, wenn sie nicht den Trieb hat, der in der Frage liegt. Dieselben schädlichen Kräfte, die in alten Zeiten an die Menschenseele herangetreten sind, können nicht an sie herantreten, wenn man gerade nach dem Geheimnis fragt, das das Geheimnis des Heiligen Grales ist. Denn in diesem Geheimnisse birgt sich das, was seit dem Mysterium von Golgatha in die Aura der Erde jetzt ausgeflossen ist. Was früher nicht in sie ausgeflossen war, was jetzt als das Geheimnis des Grales in die Erdenaura ausgeflossen ist, bliebe einem doch immer verschlossen, wenn man nicht fragt. Man muß fragen, was aber nichts anderes heißt als: man muß den Trieb haben, dasjenige, was ohnedies in der Seele lebt, wirklich zu entfalten.

(…) In der Zeit nach dem Mysterium von Golgatha wird eine Seele, die zum Fragen kommt, im rechten Sinne zum Fragen kommen, und sie wird auch im rechten Sinne das neue Isis-Mysterium empfinden können. Daher ist es so, daß es heute ankommt auf das richtige Fragen, das heißt auf das richtige Sich-Stellen zu dem, was als spirituelle Weltanschauung verkündet werden kann. Kommt ein Mensch bloß aus der Stimmung des Urteilens, dann kann er alle Bücher und alle Zyklen und alles lesen – er erfährt gar nichts, denn ihm fehlt die Parzival-Stimmung. Kommt jemand mit der Fragestimmung, dann wird er noch etwas ganz anderes erfahren, als was bloß in den Worten liegt. Er wird die Worte fruchtbar mit den Quellkräften in seiner eigenen Seele erleben. Daß uns das, was uns spirituell verkündet ist, zu einem solchen inneren Erleben werde, das ist es, worauf es ankommt.“ (Lit.:GA 148, S. 169f)

Parzival Seminar in Slowenien 2020

Genau darum soll es im Parzival Seminar in Slowenien vom 9. bis 15. November 2020.gehen: die Kunst des Fragens zu üben, in die Parzival Stimmung einzutauchen, die eigenen Lebensfragen zu bewegen und spirituelle Impulse selbst im Inneren erleben und dadurch die eigene Seelenlandschaft kennenzulernen.

Komm mit auf die Heldenreise!